"Hast du am 9. Januar um 19 Uhr den Tisch in der alten Stube frei? Weißt Du, dort wo wir immer saßen!“ Das fragte mich Moritz Keilholz, als er gestern an der Rezeption stand. „Denn weißt, wir haben was Besonderes zu feiern!“ „Moritz wird 90!“, merkte seine Frau Inge an.
VORGESCHICHTE:
1954 war Moritz mit seiner Frau Inge auf Hochzeitsreise. Zur Entscheidung hatten gestanden Inges Favorit Krün in Oberbayern, dort wo jetzt Angela Merkel Barack Obama traf, und Balderschwang, Moritz’ Idee. Sie kamen nach Balderschwang, zum Glück.
Moritz fuhr mit seiner jungen Frau Inge in einem VW-Käfer vor und blieb dort, wo damals die Straße zu Ende war, vor dem kleinen Gasthaus stehen. Er trat ein, traf auf meine Mutter und fragte, ob sie denn ein Zimmer frei hätte. Diese zeigte ihnen das Zimmer Nummer 4. Was Moritz und Inge jedoch nicht wussten: Die Nummer 4 war eigentlich das Zimmer meiner Eltern. Doch Vater und Mutter wollten unbedingt, dass sich die Gäste bei uns wohlfühlen und so sollten sie natürlich das beste Zimmer bekommen. Geheizt wurde damals mit einem kleinen Kanonenofen, es gab ein Badezimmer und ein Etagen-WC.
Es muss ihnen gefallen haben: Denn seit ihrer Hochzeitsreise kommen die „Keilhölzer“ – so nennen wir die Familie – regelmäßig zu uns: Zweimal im Jahr freuen wir uns auf ihren Besuch hier bei uns in Balderschwang: Einmal im Sommer, einmal im Winter, immer buchen sie die gleichen Zimmer und immer sitzen sie am gleichen Tisch. Im Laufe der Jahre wurden aus zwei Keilhölzern acht . Noch heute habe ich die Namen ihrer Kinder der Reihe nach im Kopf. Viele gemeinsame schöne Stunden haben wir verbracht. Und weil es der Großfamilie immer so gut bei uns schmeckte, schlachtete Vater jedes Mal vor ihrem Eintreffen zwei Schweine, wir wursteten und machten zig Paar Schweinsbratwürschtl. Ein „normaler“ Gast verzehrte drei Stück, hier an diesem Tisch mit dem besagten Appetit war es immer die doppelte Anzahl Würschtl – angerichtet auf Sauerkraut mit Kartoffelpüree und scharfem Senf. Zum Dessert gab es entweder Kaiserschmarrn oder Heidelbeer-Pfannkuchen.
Somit wäre schon heute klar, was es am Abend des 9. Januar zum Essen geben wird. Und noch etwas verriet mir Inge gestern bei unserer Besprechung; das hat mich sehr gefreut: „Weißt Karli, dieses Tal hat mich immer schon fasziniert. Es ist schon etwas besonderes hier, die Luft, das Klima, die Menschen. Ich könnte fast sagen: In Balderschwang habe ich mich noch schneller verliebt als in meinen Mann Moritz."
Wie schön, wenn eine solche Liebe ein Leben lang hält.